Kurzsichtigkeit bei Kindern – Myopie-Management

Am Kongress „Swiss Academy of Opthalmology (SAOO)“ vom 6.-8. März 2019 hielt unser leitender Arzt und Inhaber des Augenzentrums Dr. med. Markus Kiener ein Referat zum Thema Kurzsichtigkeit bei Kindern. Lesen Sie hier das Referat nach.

Der diesjährige Kongress in Luzern bot ein breites Spektrum an Informationen rund um die Tätigkeiten eines Augenarztes. Auffallend und alarmierend zugleich, dass das Thema «Myopie bei Kindern» auch an diesem Kongress fester Programmbestandteil war. In der letzten Zeit begegne ich dieser Problematik an Kongressen immer wieder.


Aus diesem Grund möchte ich hier auf das Referat «Myopie-Management» näher eingehen und Ihnen die Präsentation und die entsprechenden Schlussfolgerungen näherbringen.

Was versteht man unter „Myopie-Management“?

«Per Definition eine kontrollierte Anwendung präventiver Massnahmen zur nachhaltigen Hemmung des Augenlängenwachstums (Myopisierung) zwecks Minimierung krankhafter Folgeschäden»

Prognose: 4.5 Milliarden Betroffene bis 2050

Weltweit befassen sich viele Studien mit den auslösenden Faktoren und der Prävention oder Dämpfung entstehender Kurzsichtigkeiten. Wir erwarten, dass die Häufigkeit von Kurzsichtigkeiten von jetzt ca. 30% weltweit auf über 50% steigen wird. Das dürften dann etwa 4.5 Milliarden Menschen sein. In asiatischen Ländern wie Taiwan, Japan, China ist die myope Makuladegeneration die Hauptursache für Erblindungen.

Was löst die Kurzsichtigkeit aus?

  • Genetik
  • Mangelnder Aufenthalt unter Tageslicht
  • Naharbeit / Digitale Medien
  • Naheinstellungsschwäche (Teil,-oder Unterakkomodation)
  • Spezielle Abbildung des kurzsichtigen Auges (Defokus)
  • Fehlerhafte Brillengläser
  • Unterkorrektion

Früherkennung ist essentiell

Das Auge eines Kindes wächst im Zuge der Augenentwicklung um das richtige Verhältnis von Augenlänge und Brechkraft der Augenlinse einzustellen. Dieser Prozess beschleunigt sich im Alter zwischen 7. bis 13. Lebensjahr. Es ist also wichtig, eine Neigung zu Kurzsichtigkeiten früh zu erkennen und entsprechende Therapien zu verordnen.

Was tun gegen die Kurzsichtigkeit

Vorliegende Studien zum Thema Myopie Management sehen untenstehende Therapieansätze vor:
  1. Kinderaugen brauchen Tageslicht
  2. Atropin-Augentropfen
  3. Tragen von speziellen Kontaktlinsen (Ortho-K)

1. Kinderaugen brauchen Tageslicht

Unsere Augen sind durch ihre Entwicklung an die Strahlung der Sonne angepasst. Unter Tageslicht wird Dopamin als Neurotransmitter (Botenstoff zur Anregung einer Nervenzelle) freigesetzt. Dopamin wird zusammen mit dem Hormon Serotonin auch als Glücks- oder Aktivitätshormon bezeichnet.

Fehlendes Dopamin steht im Zusammenhang mit einer Myopisierung der Augen. Ein positiver Effekt auf den Dopaminhaushalt zeigt sich in der Zeit unter Tageslicht zwischen 8 Uhr und 14 Uhr. Tatsächlich in der Zeit in der unsere Kinder in der Schule sind!

Studien zeigen, dass der Aufenthalt im Tageslicht die Entstehung von Kurzsichtigkeiten verlangsamen kann aber bei bereits ausgeprägter Myopie keine positiven Einflüsse mehr hat. Kinder im Vorschulalter mit Veranlagung zur Kurzsichtigkeit sollten sich so oft wie möglich draussen aufhalten.

Digitale Medien wie Smartphone oder Tablet strahlen wesentlich schwächer als die nötige Tagesdosis. Geräte mit grösseren Bildschirmen produzieren allerdings eine grössere Flächenhelligkeit und sind dann zu bevorzugen. Die heute üblichen Blaulichtfilter in den Smartphones stehen nicht im Kontext des Myopie Managements.

2. Atropin-Augentropfen

Als Gift der Tollkirsche bekannt, wurde es schon früher in die Augen getropft um durch die pupillenweitende Wirkung schönere Augen zu erhalten.

Es beeinflusst das vegetative Nervensystem und besteht aus zwei gegenseitig wirkende Stammnerven.

Der Sympathikus versetzt den Körper in den Zustand höherer Aufmerksamkeit und weitet die Pupille
Der Parasympathikus bringt den Menschen in einen ruhigeren Zustand und reguliert zudem viele Augenfunktionen indem er die innere Augenmuskulatur steuert und die Pupille verengt (innerviert).
Atropin dämpft die Steuerung des Parasympathikus. Um die Wirkung von Atropin zu erklären sind noch zwei wesentliche Begriffe zu definieren.

Die Augen des Menschen sind ideal entwickelt, um Dinge in unterschiedlichen Distanzen zu erkennen. Von Natur aus kann das Auge Dinge in Ferne und Nähe Dinge in rascher Folge erkennen. Das Auge verweilt nicht in einer Distanz. Wir sprechen von natürlichem Sehen.

Die heutigen Ansprüche an das Sehen sind statisch und somit einseitig: Verweilen am PC Bildschirm, langes Lesen, Tablet, Smartphone etc. Wir sprechen von statischem Sehen.

Da eine vermehrte Naharbeit einen höheren Muskeltonus Ihrer Augenmuskulatur erfordert kann diese Muskulatur ermüden oder verkrampfen. Atropin setzt hier als Gegenspieler an und löst diesen sogenannten Akkomodationskrampf.

Erhöhte Nahbelastung ist als auslösender Faktor zur Myopisierung bekannt. Atropin entspannt die Augenmuskulatur durch Hemmung des Parasymphatikus.

Die Dosierung ist entscheidend

In asiatischen Ländern mit einem höheren Anteil kurzsichtiger Menschen ist die Anwendung von Atropin schon weit verbreitet. In der Schweiz stehen wir einer Therapie auf Basis von Atropin noch vorsichtig gegenüber.

Es zeigt sich das Atropin in höheren Dosen sehr wirksam gegen die Entwicklung von Kurzsichtigkeiten ist, aber die Gefahr einer schnellen Rückentwicklung nach Abschluss der Therapie besteht (Rebound Effekt). Zudem kann die Fähigkeit, nahe Gegenstände mit den Augen zu fixieren, leiden.

In Folge sind Studien mit geringerer Dosis gemacht worden die zwar noch einen Effekt zeigen aber einen wesentlichen Faktor eines Myopie-Managements nur im geringen Masse darstellen. Da es Ziel ist, wirksam das Fortschreiten der Augenlänge zu beeinflussen (auslösendes Element myopischer Augenerkrankungen), bewirkt Atropin zwar eine Reduktion der Stärke, lässt aber die Entwicklung der Augenlänge weitestgehend unbeeinflusst.

3. Tragen von speziellen Kontaktlinsen (Ortho-K)

Hier greift eine hier im Augenzentrum Kiener bevorzugte Methode. Die Nachtlinse (OrthoK Kontaktlinse) zeigt eine in vielen aktuellen auf der SAoO präsentierten Studien validierte Wirksamkeit zur Hemmung der Augenlänge.

Studien zu Irritation am Auge mit diesem Linsentyp zeigen, dass eine fachkundige Anpassung sowie ein sauberer Umgang mit geeigneten Kontaktlinsen Pflegemitteln wichtig für eine gute Langzeitverträglichkeit sind. Komplikationen konnten immer mit mangelnder Hygiene hergeleitet werden.

Was ist die Essenz der Präsentierten Studien zum Myopie Management?

Es existieren drei tragende Säulen, die ein Myopie Management erfolgreich und sicher machen können.
  • Verwendung von Atropin in geringer Dosis
  • Tageslicht Aktivitäten
  • Kontaktlinsen (OrthoK Kontaktlinsen)
Es gilt zusätzlich:
  • Eine erfolgreiches Myopie-Management steht in starkem Zusammenhang mit dem Alter des Klienten
  • Erhöhtes Augenlängenwachstum hat Augenerkrankungen zur Folge
  • Tageslicht ist im Vorschulalter wichtig
  • Smartphones zeigen keine signifikanten Einflüsse auf die Entwicklung der Myopie (hier gilt allerdings auch die Dosis macht das Gift)
  • Klinisch erprobte Strategien und Therapien sind validiert und wirken.
  • Die nachhaltigste Wirkung gegen Myopisierung zeigen kombinierte Therapien aus Atropin in geringer Dosis + Nachtlinsen
Myopie Management kann Kurzsichtigkeiten hemmen und präventiv Folgen des Augenlängenwachstum reduzieren.

Die Prognosen zeigen in den kommenden Jahren eine erhebliche Zunahme der Kurzsichtigkeit in unserer Gesellschaft. Asiatische Länder sind bereits stark betroffen und die Massnahmen dort teils rigide.

Ich werde die aktuellen Entwicklungen weiter sorgsam verfolgen. Die Erfolge unserer Nachtlinsenversorgungen im Augenzentrum präsentieren mir direkt vor Ort eine Bestätigung der auf der SAoO dargestellten aktuellen Erkenntnisse.

Beste Grüsse

Dr. med. Markus Kiener
Leitender Arzt Augenzentrum Kiener